Der Pionier und seine Idee
- Der promovierte Mediziner Oliver Haarmann ist Gründer (2004) von „Casana“, einer geriatrischen Schwerpunktpraxis für ambulante Rehabilitation und Prävention auf dem Lindenhof. Vorläufer war ein wissenschaftlicher Modellversuch.
- Das neue Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz regelt nicht nur, dass ab September Ärzte über geriatrische Reha entscheiden, und Patienten die Einrichtung auswählen können.
- Das Gesetz erleichtert außerdem, dass langfristige Intensivpflege auch zu Hause erfolgen kann und das bei verbindlichen Qualitätsvorgaben.
Bei dem Namen „Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz“ verknotet sich fast die Zunge. Was sperrig klingt, kann gleichwohl im Alltag alter Menschen neue Lebensqualität befördern Grund: Um das Aktivieren und Mobilisieren von Senioren muss nicht länger gekämpft werden, sofern Ärzte eine geriatrische Reha verordnen. Das von dem Mannheimer Mediziner Oliver Haarmann aufgebaute Zentrum Casana gilt auf dem Gebiet als Pioniereinrichtung. Nicht von ungefähr haben sich auf dem Lindenhof der Vorsitzende des „Bundesverbandes Geriatrische Schwerpunktpraxen“ (Buges) und zwei Bundestagsabgeordnete informiert.
Vorbeugen ist besser als Heilen
Diese Erkenntnis hat längst den Status eines Medizin-Klassikers. Und wenn es um Menschen geht, die jenseits der 70, 80 oder 90 schwer gestürzt sind, eine Operation hinter sich haben oder wegen einer Krankheit lange im Bett liegen mussten, sollte „Reha vor Pflege“ das Behandlungskonzept bestimmen. Bislang entschieden Krankenkassen über die Reha-Bedürftigkeit im Alter. Aber das ändert sich Anfang September.
Knapp drei Wochen Therapie
Im Gespräch mit dem „Buges“-Vorsitzenden Stefan Folberth aus Horb, der aus Stuttgart augereisten Bundestagsabgeordneten und gesundheitspolitischen CDU-Sprecherin Karin Maag und ihrem Mannheimer MdB-Kollegen Nikolas Löbel blickt Mediziner Haarmann auf „über 20 Jahre Kampf voll mit Widerspruchsverfahren“ zurück. In dem neuen Gesetz sieht er einen erfreulichen Paradigmenwechsel, weil nun ausschließlich Ärzte darüber befinden, ob ein individuelles Reha-Intensivprogramm medizinisch Sinn macht: beispielsweise an und mit Geräten trainieren, Übungen zur Sturzvermeidung lernen, grobe wie feine Motorik verbessern und obendrein verinnerlichen, mobil zu bleiben – körperlich wie im Kopf.
Die nun verbriefte Alters-Reha gewährt einen Therapiezeitraum von 20 Tagen. Diese knapp drei Wochen, so Haarmann, sollten genutzt werden, um Senioren zu ermutigen, auch danach aktiv zu bleiben, statt sich in der Wohnung zu verkriechen. Der Mediziner weiß, dass insbesondere Gangstörungen – häufig verstärkt durch die Angst – „ein riesiges Problem“ darstellen. Er hat aber auch die Erfahrung gemacht: Gezieltes Trainieren von Körperwahrnehmung, Koordination, Kraft, Ausdauer und Gleichgewicht vermag erstaunliche Fortschritte zu bewirken. Auch beim Selbstvertrauen.
Stefan Folberth hat vor gut zehn Jahren aufgrund eines Notfalles, der ihn „16 Monate vom Arbeitsmarkt gefegt hat“, wie er es ausdrückt, am eingenen Leib erfahren, wie wichtig wohnortnahe Reha-Angebote sind.
Der Unternehmensberater aus der Stadt am Tor zum Schwarzwald stelle damals aber auch fest: „Die Gruppe 70 plus hat keine Lobby“ – weil es nicht mehr darum gehe, nach Krankheit oder Unfall in den Beruf zurückzukehren. Deshalb setzt sich der von ihm geleitete Verband für mehr geriatrische Schwerpunktpraxen ein, die sich durch fachübergreifende Therapeutenteams unter einem Dach beziehungsweise Kooperationen als Netzwerk auszeichnen. „Was Oliver Haarmann in Mannheim aufgebaut hat, gilt bundesweit als Vorbild“, betont Folberth. Ihn treibt um, dass es in vielen Regionen überhaupt keine Einrichtungen gibt, die sich um Ältere bis Hochbetagte kümmern. Geriatrische Angebote, so Folberth, seien nicht nur nach einem Schenkelhalsbruch oder Schlaganfall „dringend notwendig“ – auch zur besseren Alltagsbewältigung.
Von Pauschaldiagnosen nach dem Motto „Da kann man nichts mehr machen, zu alt“ hält der Mediziner Haarmann wenig. Er ist überzeugt, dass fast zu jedem Zeitpunkt die gesundheitliche Entwicklung günstig beeinflusst werden kann – sofern keine schwere Krankheit ihre eigene Dynamik entwickelt. Angesichts einer älter werdenden Gesellschaft gelte es, das ab Mitte Achtzig stark steigende Risiko, pflegebedürftig zu werden, abzumildern. Statistisch gesehen sind Frauen und Männer jenseits der Hundert überwiegend auf intensive Betreuung angewiesen. Gleichwohl haben in dieser Hochbeamtengruppe 17 Prozent keine Pflegestufe – was dafür spricht: Es ist möglich, ohne massive Einschränkungen alt zu werden.